Ensemble Musica getutscht

Erika Tandiono, Sopran · Julius Lorscheider, Cembalo · Bernhard Reichel, Laute und Theorbe
mehr

Aus der Projektbeschreibung:

Recitar / Catando
Die geheime Kunst

Verzierung beginnt in der Musik des Barock mit dem Vortrag, durch die Einbringung von Charakter, Gestik, Klangfarbe, Dynamik oder hinzugefügten Noten. Nikolaus Harnoncourt stellt in seinem Klassiker »Musik als Klangrede« fest, dass in der Musik vor 1800 das Werk, also die Komposition aufgeschrieben wurde, die Wiedergabe mit all den interpretatorischen Parameter sei (bis auf einige Ausnahmen, auf die wir später noch stoßen werden) aus der Notation nicht zu erkennen. Erst ab etwa 1800 sei eine Notation wie eine Spielanweisung zu lesen.

Doch lässt sich eine Geschichte des Vortrags (und gleichzeitig des Ornaments) nur schwer benennen, wenn man beachtet, dass die großen Musiker der italienischen Neuzeit allesamt auch schöpferisch aktiv waren. Frauen allerdings waren in der Regel von der schöpferischen Tätigkeit ausgeschlossen, weder traute man ihnen die intellektuellen Fertigkeiten zu, noch wurden sie dementsprechend ausgebildet. Ihre Kunst ist nur vage überliefert und fand nur indirekt Einzug in den großen Kanon. Doch in der musikalischen Geschichte der Frauen findet man das, was mehr oder weniger dem heutigen Begriff des Interpreten nahe kommt: Den Vortrag eines fremden Werks. Eine Geschichte der musikalischen Verzierungen lässt sich also gleichfalls als eine gesellschaftspolitische Geschichte der Frauen lesen.

Auf der Suche nach der Kunst des musikalischen Ornaments stößt das Ensemble »Musica getutscht« auf etliche mündlich weitergegebene Traditionen und geheime Künste der Frauen der italienischen Renaissance und des Frühbarock. Über mehr als ein Jahrhundert möchten wir diesen Faden nun verfolgen:

Begonnen bei Rekonstruktionen der Sonettrezitation (Verzierung eines Texts durch Musik) am Hofe der Mäzenin Isabella d’Este, setzen wir den Weg fort mit der Kunst des ornamentierten Gesangs des »Concerto delle Donne« in Ferrara und gelangen schließlich zur unglaublich virtuosen Sängerin Vittoria Archilei, die den Kompositionen durch ihre Ornamentik, wie Jacobo Peri behauptete, erst Bedeutung verlieh. Der Kreis schließt sich mit der Rezitations- und Gesangskunst von Francesca Caccini, sowie der männlichen Übernahme dieser Ornamentierungskunst im frühen Barock.

Auf dieser Entdeckungsreise begegnen wir Dichterinnen und Komponistinnen, die sich aus dem Korsett der »Muse« befreiten und gegen alle Widerstände schöpferisch tätig wurden, verschwimmende Grenzen zwischen Ornament und Komposition, Komponist und Interpretin, und wir erkennen, dass die bedeutenden Kunstfertigkeiten der Frauen im italienischen Frühbarock die Musikgeschichte nachhaltig geprägt haben.

Konzertprogramm

… »cantar sonetti« am Hofe von Isabella d’Este 1500–1550
Francesco Da Milano, Ricercar
Bartolomeo Tromboncino, Come haro dunque ardire (Michelangelo Buonarroti)
Bartolomeo Tromboncino, Hor che’l ciel e la terra (Francesco Petrarca)
Modo di cantar sonetti 1505, Sonett von Tulla d’Aragona
Modo di cantar sonetti 1505, Sonett von Gaspara Stampa

Die geheime Kunst der Frauen 1550–1600
Maddalena Casulana, O notte, o cielo, o mar (1570)
Isabella de Medici, Lieta vivo et contenta
Luzzasco Luzzaschi, Ricercar
Luzzasco Luzzaschi, Aura suave (ca. 1580)
Cristofano Malvezzi / Vittoria Archilei, Dalle più alte sfere (1589)

recitar cantando 1600–1620
Giulio Caccini, Tutto’l dí piango (Francesco Petrarca) (1601)
Jacobo Peri, Al fonte, al prato (1609)
Giovanni Kapsperger, Aria di Firenze
Francesca Caccini, La Pastorella (1618)

Singing Torquato Tasso
Sigismondo d’India, Sovente, allor che su gli estivi ardori (1609)
Sigismondo d’India, Indi dicea piancendo (1609)
Sigismondo d’India, Forse avverrà se’l ciel benigno ascolta (1609)

×