Duo ›Con Dispositione e Gratia‹
Henry Van Engen, Posaune · Rafaela Salgado, Cembalo und Orgel mehrProjektbeschreibung
Con Dispositione e Gratia
Passaggi für Posaune und Tasteninstrumente
… se altri per aventura dicessero, che io havessi posto alcuni Passaggi, che paiono impossibili à farsi con viva voce, risponderò loro, che essendo essi dalla natura dottati di buona dispositione di voce ne faranno anco di più difficili assai …
… sollten manche vielleicht meinen, ich hätte einige passagi geschrieben, die unmöglich von der Gesangsstimme auszuführen seien, so würde ich ihnen sagen, dass sie, so sie von der Natur mit guter dispositione der Stimme gesegnet sind, selbst viel schwierigere meistern können …
In der Einleitung zu seiner beeindruckenden Abhandlung über Verzierungen, den »Regole, passaggi di musica« von 1594, stellt Giovanni Battista Bovicelli die Regeln für die Verzierungstechniken des Frühbarock auf: dass man, wenn man eine gute »dispositione« oder »Disposition« hat, selbst komplizierte und schwierige »passagi« oder »Passagen« ausführen kann. Dieses Schlüsselwort »dispositione« taucht in vielen Abhandlungen des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts auf, darunter auch in Francesco Rognoni Taeggios »Selva di varii passaggi libro primo« von 1620. Er führt in seiner Liste von Ratschlägen für die Leserschaft den Gedanken der »Disposition« weiter aus und reichert die Definition des Ausführens von Passagen weiter an, die von Sängern wie von Instrumentalisten »Gratia« oder »Grace« (Verzierungen) verlangen:
1. Il portar della voce, vuol esser con gratia […].
3. Il Tremolo si fa sovente, mà però con gratia […].
5. Il principiar sotto alle note … non é altro, se non un dar gratia alla voce nel principiar delle note.
7. Volendo passar da una nota all’altra, fà bisogno portar bene la voce con gratia …
1. Das »portar della voce« muss mit »gratia« (Verzierungen) sein […].
3. Das »tremolo« wird häufig verendet, aber mit »gratia« (Verzierungen) […].
5. Das »principiar sotto alla nota« … ist nichts anders als ein »gratia« in der Stimme beim Ansingen einer Note.
7. Die Notwendigkeit, von einer Note zur anderen überzugehen, erfordert, dass man die Stimme gut mit »gratia« führt.
Die Tatsache, dass Rognoni Taeggio in vier seiner zehn Regeln dieses Wort verwendet, betont, wie nötig es ist, für die Ausführung von »passagi« gute »gratia« und »dispositione« zu haben. Und genau darum wollen wir uns bemühen. Mit diesem Vorschlag für unseren Aufenthalt wünschen wir uns den Ort und die Zeit, um ein Programm zu entwickeln, das nicht nur auf den »passagi« beruht, wie sie in den historischen Quellen veröffentlicht wurden, sondern dem wir auch eine Schicht von Komplexität und größere Tiefe hinzufügen wollen. Das soll mit Hilfe von ungleichen Rhythmen, mit Affekten, Accenti, Trilli, Intonati und Esclamazion (d.h. mit »gratia« oder Verzierungen) erzielt werden. Zudem möchten wir unser eigenes System von sowohl notierten als auch improvisierten »passagi« aufbauen und diese Gelegenheit nutzen, um einen spontanen Gleichklang in der Ornamentierung zwischen der Posaune, dem Cembalo und der Orgel zu entwickeln, etwas, das in der heutigen historischen Aufführungspraxis der Posaune oft fehlt.
Wir wollen unsere Untersuchung der »passaggi« in den Primärquellen verankern und haben uns daher für die oben erwähnten Abhandlungen von Bovicelli und Rognoni Taeggio entschieden, in denen Text und Beschreibungen der grundlegenden Verzierungen zu finden sind, sowie für Girolamo dalla Casas »Il Vero modo di diminuir« von 1584, Giovanni Bassanos »Motetti, madrigali et canzoni francese« von 1591 und Bartolomé de Selma y Salaverdes »Canzoni, fantasie et correnti libro primo« von 1638, um die Entwicklung aufzuzeigen, die von der Blütezeit in den 1580er und 1590er Jahren bis zur letzten überlieferten Abhandlung reicht, in der noch neues Material enthalten ist.
In der Instrumentensammlung von Schloss Weißenbrunn sind für uns vor allem das Virginal aus dem 16. Jahrhundert mit der Kurzoktav, das italienische Cembalo von 1699 und die neapolitanische Orgel von 1724 mit der kurzen Bassoktav von besonderem Interesse. Speziell weil sie die Möglichkeit bieten, verschiedene Intabulierungs-Lösungen nach Diruta und Vicentino zwischen 8’- und 12’-Instrumenten auszuprobieren, sind diese Instrumente besonders geeignet für unser Duo. Außerdem ist die historische Posaune vielleicht das flexibelste Instrument, was Tonhöhe und Stimmung angeht und daher ideal dafür geeignet innerhalb eines einzigen Konzertes mit verschiedenen Tasteninstrumenten zusammenzuspielen.